Im Sommer 1870, vor gut 150 Jahren, erklärte das französische Kaiserreich dem von Preußen geführten Norddeutschen Bund den Krieg. Aus diesem Krieg, in dem die bislang unabhängigen süddeutschen Staaten die Norddeutschen um Preußen unterstützten, entstand der Nationalstaat der Deutschen. Das Buch präsentiert einen gut lesbaren Überblick zur Geschichte des Deutschen Kaiserreiches, der vollkommen neu aus den historischen Quellen erarbeitet wurde. Er kommt dabei zu vielen überraschenden Ergebnissen, die die traditionelle Sicht vieler Historiker infrage stellen. Immer wieder wird auf die langfristigen Folgen damaliger Politik verwiesen, die vielfach bis in unsere Gegenwart reichen. Neu bewertet werden u. a. der Kulturkampf und das sogenannte Sozialistengesetz gegen die »gemeingefährlichen Bestrebungen der Sozialdemokratie«. Bei wichtigen Weichenstellungen geht der Autor der Frage nach, welche anderen Alternativen in der Zeit möglich gewesen wären. Das gilt auch für den Ausbruch und den Verlauf des Ersten Weltkrieges und den Zusammenbruch des Kaiserreiches, mit denen das Buch schließt.
478 S., geb.
478 S., geb.
Die »Staaten des Norddeutschen Bundes« schlossen dabei wie es im Bundesvertrag mit Bayern hieß »einen ewigen Bund«.
»Dieser Bund heißt der Deutsche Bund«. Aus dem Norddeutschen Bund sollte also durch Erweiterung um die süddeutschen Staaten einfach ein »Deutscher Bund« werden. Der Staatsname wurde am 9. Dezember 1870 vom Bundesrat in »Deutsches Reich« geändert und gleichzeitig festgelegt, dass das Präsidium des Bundes »den Namen Deutscher Kaiser führt«. Diesen beiden Namensänderungen stimmte der Norddeutsche Reichstag nach den formal erforderlichen drei Lesungen ohne jede Wortmeldung am 10. Dezember zu. In namentlicher Abstimmung votierten 188 Abgeordnete dafür, sechs dagegen. Die Ja-Stimmen kamen aus allen Fraktionen, von Windthorst bis zu den linken Liberalen und Demokraten Lasker und Loewe. Die sechs Nein-Stimmen wurden geschlossen von der politischen Vertretung der Arbeiterschaft abgegeben, die noch keine Fraktionsstärke besaß: je drei von den Abgeordneten des Allgemeinen Deutschen Arbeiter-Verbandes (Hasenclever, Mende, Schweitzer) und von der Sozialdemokratischen Arbeiterpartei Deutschlands (Bebel, Fritzsche, Liebknecht). Schraps fehlte. Die polnischen Abgeordneten blieben der Abstimmung geschlossen fern. Mit den Begriffen »Kaiser« und »Reich« verbinden sich nicht nur in Deutschland mystisch-religiöse Vorstellungen. Die Generation, die noch einen deutschen Kaiser erlebt hatte, war 1870 noch nicht vergangen. Der preußische König gehörte dazu. Spätestens seit dem Staatengründungskrieg von 1866 lag die Idee eines neuen deutschen Kaisers in der Luft. Bismarck sprach seit Januar 1870 ganz offen davon. Ein besonderer Anhänger solcher Vorstellungen war der Kronprinz, der von einer borussisch-protestantischen Neubelebung des mittelalterlichen deutschen Kaiserreiches träumte. Die deutschen Katholiken waren ohnehin Feuer und Flamme für ein neues deutsches Kaiserreich. Der Abgeordnete Reichensperger hoffte, »daß unter unseren Augen die Thore des Kyffhäusers sich öffnen und daß wir den Morgengruß des erwachenden deutschen Kaiserreiches vernehmen werden«. Im Namen der deutschen Fürsten trug der König von Bayern dem König von Preußen die Wiederherstellung eines Deutschen Reiches und der Deutschen Kaiserwürde an. Dieser sogenannte bayerische Kaiserbrief ist, wie wir heute wissen, in wesentlichen Teilen auf Bismarcks Schreibtisch entstanden. Entscheidend war zum einen, daß König Ludwig II. ihn unterschrieb, zum anderen, dass der Brief durch seinen Onkel Luitpold, der nächste in der bayerischen Thronfolge, persönlich König Wilhelm übergeben wurde. Auch die drei freien Städte Bremen, Hamburg und Lübeck schlossen sich dem an, wobei Bremen besonders hervorhob, dass es ein Freistaat (der damalige deutsche Ausdruck für Republik) sei. Damit waren die hauptsächlichsten Bedenken, die 1849 einer Annahme durch Wilhelms Bruder Friedrich Wilhelm IV. entgegengestanden waren, beiseitegeräumt.
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