Heinz Theisen

Selbstbehauptung

Warum Europa und der Westen sich begrenzen müssen
Titel kurzfristig lieferbar Artikelnummer: 95778
ISBN / EAN: 9783957682369
Die Krise des Westens spitzt sich zu im Zusammenfallen von innerer Schwachheit und äußeren Bedrohungen – insbesondere durch die ­Herausforderungen Russland, Islam und China. Nach der Niederlage in Afghanistan und dem Krieg in der Ukraine befindet sich der Westen in der Defensive gegenüber ­Autoritarismus und Islamismus, welche die Freiheit von offenen Gesellschaften infrage stellen. Europa ist durch seine strategische, geistige und demografische Lage stärker gefährdet als liberaldemokratische Staaten in Nordamerika, Ozeanien und Ostasien. Der globale Westen wird auch noch durch den zunehmend totalitären politischen Kapitalismus Chinas herausgefordert.

Die politische Klasse an Hochschulen, in den ­Medien und Parteien verzichtet oft demonstrativ auf die Selbstbehauptung des Eigenen. Ein erstaunlicher Vorgang, weil in Evolution und Geschichte immer um die Selbstbehauptung von Kulturen, Gesellschaften und Staaten gerungen worden war. Anders als im Kalten Krieg sind die Europäer schon darüber gespalten, ob sie überhaupt bedroht sind oder ob sie nicht – so in der Klima­debatte – selbst die Hauptbedrohung verkörpern. Dabei machen die Aggressionen des Islamismus und Russlands deutlich, dass wir von einem Ring kultureller Feindseligkeit und politischer Gegnerschaft umgeben sind. Das aus seiner Handlungsunfähigkeit nach außen resultierende ­Machtvakuum der Europäischen Union zieht immer neue Aggressionen auf sich.

Die innere Polarisierung zwischen weltoffenem Globalismus und regressivem Rückzug auf den Nationalstaat wird weder der Globalität noch der Komplexität der Herausforderungen gerecht. In den Gesellschaften und zwischen den Staaten des Westens muss eine neue Achse der Selbstbehauptung aufgebaut werden. Die diversen Interessen, Ideologien und Identitäten könnten in einer neuen Doppelstrategie der »Selbstbehauptung durch Selbstbegrenzung« auf einer höheren Ebene aufgehoben werden. Bürger kommt von Burg. Ein neues bürgerliches Bewusstsein sollte von internen Konflikten überleiten zu einem Europa, das schützt.

Dafür müsste nächst der Überwindung der inneren Spaltung die Kontrolle über Europas Grenzen erreicht werden. In der multipolaren Welt wären statt globaler »Weltoffenheit« eine Koexistenz der Kulturen und Mächte und gegenüber feindseligem Totalitarismus eine Strategie der Eindämmung gefordert.

392 S., Pb.
Einleitung:
Die verlorenen Grenzen des Westens
Seltsamerweise sind im westlichen Denken die wichtigsten Grenzen überhaupt in Vergessenheit geraten, die Grenzen des Möglichen. In einem surrealen Taumel überboten sich eine überdehnte amerikanische Weltmachtpolitik, die Geldschöpfung der Europäische Zentralbank, hedonistische Grüne und »woke« Wünsche aller Art darin, möglichst viele Begrenzungen aufzuheben.
Eine Erklärung für diesen Verlust an Wirklichkeitssinn liegt im Mangel an Widerständen. Die Realitätsverkennung wird umso größer, je näher wir dem Reich der reinen Begriffe und Weltanschauungen kommen, den Hochschulen, Medien, Parteien und Parlamenten. Mit dem Konstruktivismus in den Geistes- und Sozialwissenschaften wurden Begriffe selbst zur Realität erhoben. Statt der strengen Suche nach Objektivität zählen die Gefühle, statt des Analysierens dient das Moralisieren der eigenen Wohlfühlgesinnung.
Das Beschönigen der Welt endet in der Verdrängung selbst mani­fester Gefahren. In der bunten neuen Welt waren weder Viren noch böse Mächte vorgesehen. Entsprechend leichtsinnig waren wir gestimmt. Nach Ausbruch der Corona-Pandemie in Wuhan flogen noch Hunderttausende Passagiere aus China in die Welt. Die Regierungen in Europa und den USA dachten sich nichts dabei.
Am fatalsten wirkte sich der Glaube an die Unbegrenztheit der Welt in der Außenpolitik aus. Fremd ist, was wir nicht verstehen. Bei der Anmaßung, dass es für uns auf Erden nichts Fremdes gibt, handelt es sich um eine Form von Unbegrenztheit, die viele Beteiligte überfordert. Der Übermut, in fremden Kulturkreisen westliche Strukturen aufzubauen, stellt keine Widerstände und Hindernisse in Rechnung. Tradition und Religion gelten nur noch als folkloristische Relikte, die dem Glauben an den Fortschritt weichen müssen.
Die Entgrenzung der Räume ging mit einer Entgrenzung des ­Denkens einher. Niemand – so der Orientalist Gilles Kepel – habe die geistige Verwirrung vorausgeahnt, die mit dem Verschwinden von Distanzen und Perspektiven einhergegangen ist. Die Auflösung von räumlichen und zeitlichen Bezugspunkten habe uns die Orientierung verlieren lassen.
Auch nach dem Scheitern des westlichen Universalismus im ­Nahen und Mittleren Osten folgten keineswegs Einsichten in unsere Begrenztheit, sondern die Flucht nach vorn in eine ganz neue Weltanschauung – die des Globalismus. Sie kennt keine Kulturen und Nationen mehr, sondern nur noch »die Menschheit« und die »Eine-Welt«.
Jedoch sind nicht alle Kulturen so relativistisch und universalistisch wie der Westen. In traditioneller geprägten Kulturen finden sich nur wenige, die ihr Denken an globalen Interessen oder universellen Werten ausrichten. Umso größer ist ihre Bereitschaft, die technischen und ökonomischen Ergebnisse des Westens zu nutzen und sie gegebenenfalls gegen den Westen auszunutzen.
Wie illusionär der westliche Menschenrechtsuniversalismus ist, hätte uns schon die »Kairoer Erklärung der Menschenrechte« von 1968 lehren können. Diese A
Es liegen keine Bewertungen zu diesem Artikel vor.